Das Rätsel der Sphinx und Ödipus
In den staubigen Bergen nahe Theben lauert die Sphinx, eine Kreatur von furchterregender Schönheit. Mit dem Körper eines mächtigen Löwen, scharfen Klauen, goldenen Schwingen und dem Gesicht einer Frau sitzt sie auf einem Felsen, den Blick fixiert auf die Straße, die in die Stadt führt. Kein Reisender darf passieren, ohne ihr Rätsel zu lösen – doch bisher hat keiner überlebt, um davon zu berichten.
Eines Tages nähert sich ein Mann, staubig und erschöpft von seiner Reise: Ödipus. Die Sphinx erhebt sich majestätisch und spricht mit einer Stimme, die gleichzeitig lockend und bedrohlich ist:
„Welches Wesen geht am Morgen auf vier Beinen, am Mittag auf zwei und am Abend auf drei?“
Ödipus, klug und gewitzt, schaut ihr direkt in die Augen. Seine Antwort kommt ruhig und klar:
„Es ist der Mensch. Als Baby krabbelt er auf allen Vieren, als Erwachsener geht er auf zwei Beinen, und im Alter stützt er sich auf einen Stock.“
Einen Moment herrscht Stille. Dann erhebt sich die Sphinx in die Lüfte, ihre mächtigen Flügel schlagen wie Donner. Ihr Schrei ist ein Gemisch aus Triumph und Verzweiflung. Besiegt von Ödipus' Verstand, stürzt sie sich von ihrem Felsen in die Tiefe. Doch während sie fällt, flüstert sie: „Löse meine Rätsel, aber entkomme deinem Schicksal nicht.“
Ödipus tritt als Held in die Stadt ein – unwissend, dass er mit jedem Schritt dem düsteren Schicksal näherkommt, das die Sphinx vorausgesehen hat.